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Opfer ohne Hass

Dresdner Neueste Nachrichten

DIE Muslime. DIE Flüchtlinge. DIE Araber. DIE Amerikaner. DIE Juden. DIE Russen.  DIE Mexikaner. DIE Anderen.

Das große DIE hat ein anderes Wort verdrängt: Differenzierung. Es wird pauschaliert, unter Generalverdacht gestellt. Hass ist das Wort der Zeit.

Aber immer wieder gibt es Menschen, die sich dem DIE und dem Hass verweigern. Und darunter ausgerechnet solche, die menschlich gesehen, jeden Grund hätten, nicht zu differenzieren, nicht die einen von den anderen zu trennen. Es sind Menschen, die selbst Opfer waren. Und trotzdem nicht zu Hass und Vergeltung aufrufen, sich in ihrem Schmerz nicht vereinnahmen lassen, von welcher Seite auch immer. Ihre menschliche Größe, mit der sie zu Versöhnung und Verständigung mahnen, nötigt Hochachtung ab. Und jeder wird sich angesichts deren Geschichte zweifelnd fragen, ob er in ähnlicher Lage wie sie sein könnte.  Sie beschämen all  die Hassprediger.

Kim Phuc Phan Thi könnte man bezeichnen als DIE Opferikone.  Würde sie hassen bis zu ihrem Lebensende, könnte es jeder verstehen. Sie ist das von Napalm verbrannte, nackte, schreiende Kind von dem berühmten Foto aus dem Vietnamkrieg. Am 11. Februar wird sie mit dem 10. Dresden-Preis ausgezeichnet. Nicht, weil sie Opfer war, sondern weil sie sich als Opfer dem Hass verweigert.

Quasi jeder kennt das Foto. Aber spricht man mit Menschen darüber, reagieren sie oft mit einer Art Abwehr, mit Schaudern. Am liebsten würden sie sich eben nicht daran erinnern. Aber dieses Bild vergisst man nicht. Es zeigt die direkte Konfrontation des unschuldigen, hilflosen  Kindes mit dem Grauen des Krieges, der keine Rücksicht kennt.

Wenige wissen, dass es danach für Kim Phuc noch schlimmer kam. Wie sie noch lebend abgelegt wurde in einem Leichenhaus und inmitten von toten Kindern völlig allein war mit ihrer Angst und ihren Schmerzen. Man versteht, dass sie  nicht mehr daran erinnert werden wollte. Aber mit diesem Foto, das weltberühmt wurde, hatte sie keine Chance. Sie wurde vorgeführt, benutzt, als Symbol eines eigenen Lebens beraubt. „Ich sollte für immer dieses verletzte Kind auf dem Foto bleiben“, erzählt sie. Aber sie wollte   ein eigenes Leben, eines, in dem nicht jeder zuerst nach ihren Narben fragt – die sie noch heute schmerzen – eines, in dem sie   eine Art Normalität finden kann.

1992 ging sie nach Kanada. Lebte drei Jahre anonym, war einmal nicht das  berühmte Napalm Girl. Als sie dann doch von Journalisten gefunden wurde, entschied sie sich, ihre Rolle selbst zu definieren. Sie erkannte, dass dieses Foto auch eine Art Auftrag an sie ist.

Sie, die lange viele hasste, diejenigen, die ihr das angetan hatten; jene, die sie vorführten als Opfer; und vor allem sich selbst, entsagte  jedem Hass. Seither tritt sie unter anderem als Goodwill-Botschafterin der UNESCO ein für Versöhnung und Vergebung. Sie gründete eine Stiftung, die sich um vom Krieg versehrte Kinder kümmern. Und jedes Jahr spricht sie in der ganzen Welt vor Tausenden und erzählt davon, dass man nie vergessen darf, aber Hass keine Lösung ist.