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Rede Gerhart Baum

Gerhart Baum – Ehrenmitglied der „Friends of Dresden“ aus Anlass  des Dresdner Friedenspreises am 12.2.2017, in der Semper Oper in Dresden.

 

Ich begrüße sehr herzlich Dirk Hilbert, den Oberbürgermeister unserer Stadt, der in den letzten Tagen eindrucksvoll Flagge gezeigt hat für das demokratische, das andere Dresden. Dank auch für die Mitfinanzierung unseres Gräberprojektes.  Wieder ist dieses eine Gemeinschaftsveranstaltung mit der Semper-Oper. Dank an den Interimsintendanten Rothe. Ich begrüße Sie im Namen der „Friends of Dresden“, einer Initiative von Menschen aus dem In-und Ausland die aus Verbundenheit zu Dresden diesen Preis 2008 gestiftet haben. Initiator war der Medizinnobelpreisträger Günter Blobel. Er hat die Nobelpreissumme dem Aufbau der Frauenkirche und der Synagoge gestiftet. Leider kann aus Krankheitsgründen nicht hier sein. Ich begrüße für die „Klaus Tschira  Stiftung“, deren  Geschäftsführerin Beate Spiegel. Ohne  deren wesentlichen finanziellen Beiträge zu dieser und auch zu kommenden Preisverleihungen wären diese nicht möglich.  Ich begrüße Sie im Namen der Journalistin Heidrun Hannusch. Ihr ist es zu danken, ihrer kreativen Spurensuche, ihrer Hartnäckigkeit, ihrer Energie, dass Veranstaltungen wie diese überhaupt zustande kommen.

Noch nie betraf unser Preis eine so akute brennende  humanitäre  und politische Situation wie in diesem Jahr. Während wir uns hier friedlich versammelt haben, befinden sich Hunderte von Menschen, Männer, Frauen, Kinder in Schlauchbooten auf dem Mittelmeer – verzweifelt, das Äußerste wagend. Mehr als 18.000 kamen 2016 über das Meer, mehr als 5.000 von ihnen starben.  Seit 5 Jahren sind einige hunderttausend Menschen über auf diesem Weg gekommen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Mehr als 300.000 Menschen, so wird geschätzt, warten in Nordafrika darauf, im Frühling nach Europa zu kommen. Die europäischen Politiker, zuletzt bei ihrem Gipfeltreffen in Malta vor zwei Wochen, suchen nach Lösungen. Sie werden sich nur unter großen Schwierigkeiten und nur nach und nach realisieren lassen Einige wecken Zweifel  an ihrer Vereinbarkeit mit dem humanitären Völkerrecht. Die harte politische Wirklichkeit sieht so aus: selbst wenn es akzeptable Auffanglager in Nordafrika geben sollte, die europäischen Länder werden schwer zu bewegen sein,  allein die dort anerkannten politischen Flüchtlinge aufzunehmen. Von den anderen ganz zu schweigen. Die Europäer haben sich nicht einmal gegenüber uns Deutschen, die wir bisher die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben, zur  Aufnahme bereit gezeigt.

Aber  es gibt keinen anderen Ausweg aus dieser Krise,  wie aus den anderen, in denen sich die Menschheit sich befindet: keinen anderen Ausweg als Solidarität, wie auch immer sie gestaltet wird. Die Krisen der Welt sind bei uns angekommen. Es hilft nicht, den Kopf in den Sand zu stecken und von nationaler Abschottung  zu träumen. Aus Angst vor Erfolgen der Populisten, dürfen wir unsere Werte nicht verraten. Internationale Probleme lassen sich nicht mehr national lösen.

Wir wollen mit  dem  imaginierten Friedhof auf dem Opernplatz  derjenigen gedenken, es sind Tausende, die man hat bergen und begraben können. In einer Dokumentation  „Lampedusa 361“ haben wir 90 der auf ganz Sizilien verstreuten Gräber durch Grabfotos auf Matten hier zu einem Denkmal zusammengeführt. Es war eine mühselige Erkundungsreise bis in die kleinsten Dörfer der Insel.

Wer das Erinnern an diese Menschen als Provokation empfindet, der ist innerlich verroht. Gerade unsere Stadt, die die Schrecken des Krieges erlebt hat, beweist mit diesem Gedenken eine besondere Sensibilität für Opfer des Krieges-in diesen Tagen im Februar, an denen wir auch unserer Opfer gedenken. Und dazu gehört auch das Erinnern an die Opfer des durch Bomben zerstörten Aleppo. Gerade wir Dresdner, die wir Tod und Zerstörung so intensiv erfahren haben, sollten mit denen solidarisch sein, die gleiches erleiden. Das mindert nicht die Trauer um unsere eigenen Toten.

Unser Grundgesetz fordert uns auf „in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt zu dienen.“  Ja, dazu wollen wir heute mit dieser Veranstaltung und den Preisträgern  unseren  Beitrag leisten. Das Medieninteresse ist groß.  Die  Nachrichten und die Bilder werden den Menschen in Deutschland und Europa zeigen, dass es ein anderes, ein demokratisches, ein den Grundwerten verpflichtetes  Dresden gibt.

Ich erinnere mich an die wunderbaren Vorfrühlingstage vor 72 Jahren. Nach wenigen Stunden war nichts mehr wie es vorher war. Dresden hat die Folgen einer gewissenlosen Gewaltherrschaft zu spüren bekommen, für die Deutschland verantwortlich war. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass auch nur Teile unserer Gesellschaft  diese  menschenfeindliche Ideologie wiederbeleben wollen. Sie hat die Welt des vorigen Jahrhunderts ins Unglück gestürzt.

Wir wollen mit den diesjährigen Preisen ganz bewusst ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit setzen. Über die Flüchtlingspolitik mag gestritten werden. Aber eines kann nicht hingenommen werden: dass sie als Argument für einen neuen Rassismus und für neue Fremdenfeindlichkeit herhalten muss. Dieser Weg führt in die Gewalt. Rassismus hat zum Holocaust geführt. Heute brennen Asylunterkünfte. Gewalt beginnt in den Köpfen durch Lügen und durch Hass. Die Angst vor dem Fremden, oft eine instinktive, irrationale Reaktion, muss überwunden werden. Wir alle sind Produkte von Migration. Heute, so sagt der gerade verstorbene große Denker Zygmunt Bauman, „ eignen sich die Flüchtlinge  hervorragend für die Rolle der Strohpuppe, die man stellvertretend  für die globalen Kräfte des Unheils verbrennt“. „Der Flüchtling als Sündenbock“, so fährt er fort, „bringt die schlechten  Nachrichten, die Konflikte und Stürme aus der Ferne vor unsere Haustür“.  „Der Flüchtling erleichtert das beunruhigende und demütigende Gefühl unserer Hilflosigkeit und existentiellen Unsicherheit.“ Es ist der Flüchtling, der für unsere Unsicherheit bezahlt.

Unsere bisherigen Preisträger haben jeweils ihren Beitrag zum Frieden geleistet: Gorbatschow – Frieden durch Überwindung der Teilung Europas und durch atomare Abrüstung: Barenboim – Frieden im Nahen Osten. James Nachtwey – der Fotograf mit den Bildern des Krieges; Petrov, der Russe der beitrug, einen Atomkrieg zu verhindern; der Herzog von Kent – Versöhnung der Kriegsgegner; Daniel Ellsberg, der beitrug, den Vietnam Krieg zu beenden und schließlich der Kindersoldat und Friedensaktivist Emmanuel Jal aus dem Sudan, einer der Staaten, aus denen heute die Flüchtlinge kommen.

Und heute setzen wir die Reihe fort. Wir wollen vor allem danken. Danken für diese Initiativen der Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit, die uns beschämen. Wir, die anderen Europäer, haben lange genug weggeschaut.  Die Italiener haben eine übergroße Last getragen – bis heute.

Wir danken  dem  Bürgermeister von Riace, Domenico Lucano, der  seit 18 Jahren in einer beispiellosen Aktion das Miteinander von den Bewohnern seiner Stadt und Flüchtlingen organisiert hat . Das ist ein seiner praktischen Humanität zutiefst überzeugender Mann. Das kalabrische Modell, die Utopie der Normalität“, wie er es nennt. Wir werden dazu einen Ausschnitt aus einem Wim Wenders – Film sehen, Martin Roth wird die Laudatio halten.

Wir wollen auch, dass es nicht bei dieser Preisverleihung bleibt. Das soll kein einmaliges Ereignis bleiben. Wir wollen versuchen, am besten gemeinsam mit der Stadt Dresden, in Riace ein Dresden Haus zu eröffnen. Herr Lucano hat seine Zustimmung schon signalisiert. Dort sollen zeitweise junge Menschen aus Dresden wohnen und an diesem Modell mitwirken.

Wir danken der Familie  Gelardi,  die ein  17jähriges totes Mädchen aus Eritrea in ihr Familiengrab in Agrigent aufgenommen hat. Am 3.10.2013 ist sie eine der 368 vor Lampedusa ertrunkenen Menschen. Dieser Familie wollen wir stellvertretend für die vielen Kommunen auf Sizilien, die in ihren Gräbern die Toten der Massenflucht aufgenommen haben, danken. Wir waren uns doch lange gar nicht bewusst, dass es nicht nur die Lebenden sind, die unserer Fürsorge bedürfen. Es gibt auch die Toten, die im Mittelmeer ertranken oder in den Booten erstickten. Ohne zu klagen haben die Sizilianer den Toten ihre Würde zurückgegeben. Die Gräber vor der Oper, werden von den Menschen voller Ehrfurcht wahrgenommen. Es werden Blumen auf die Gräber gelegt und manchmal auch Briefe. Diese Friedhöfe sind die eigentlichen Denkmäler dieser großen Tragödie in der jüngsten Menschheitsgeschichte. Die Menschen waren aufgebrochen aus einem Leben ohne Zukunft – und am Ende bleibt von diesem Leben nur eine Nummer. Wir danken den Fotografen Oliver Killig, Carsten Sander, sowie Gabrielle Scharnitzky und Martina Hahn. Wir werden einen Katalog herstellen und die Ausstellung auch anderen Städten anbieten.

Aus Fremden müssen Nachbarn werden. Dafür arbeiten zahlreiche Willkommensbündnisse in dieser Stadt – eine lange Liste von mehr als 30 Initiativen in allen Stadtteilen. Dieses Bürgerengagement sollte wirklich stärker wahrgenommen werden – und nicht immer wieder sollte der Welt die spektakuläre Aggressivität derjenigen Minderheit gezeigt werden, die unsere Werte mit Füssen treten. Sie fordern von den Fremden Respekt vor dem Grundgesetz – und bringen diesen selbst nicht auf.

Es ist heute auch Anlass, diesen vielen Menschen zu danken, die bürgerschaftliche Verantwortung übernommen haben. Während andere sich vor allem damit befassen, Menschen in Not abzuwehren oder wieder loszuwerden, leisten sie Tag für Tag praktische Hilfe. Stellvertretend für alle möchte ich Jürgen Bönninger nennen.

Aus Flüchtlingen müssen Einwanderer werden. Dieser Vormittag hat Mut gemacht. Die Welt ist friedloser, unsicherer geworden. Vertraute Strukturen wanken. Europa ist von egoistischem selbstzerstörerischem Nationalismus bedrohte, die Finanzkrise ist nicht überwunden, die Klimakrise fordert uns heraus. Terrorismusbedrohung lässt uns oftmals die Fassung verlieren. Das Internet führt zu neuen freiheitsfeindlichen Machtstrukturen.  Zerfallende Staaten, mörderische Stellvertreterkriege im Nahen Osten, Versagen der Vereinten Nationen, Not und Unterdrückung in Teilen Afrikas – und nun auch noch Trump. Trump ist der Ernstfall. Und wir erleben Politik- und Parteienverachtung seit langem im eigenen Lande, ohne bisher wirkungsvoll darauf zu reagieren. Eine gefährliche Demokratiemüdigkeit ist zu spüren, eine gruppenfeindliche Menschenfeindlichkeit, wie das Untersuchungen belegen. Das ist eine Situation, in der die Populisten mit ihren einfachen Antworten im Trüben fischen. Wir dürfen die anderen kritisieren, aber wir müssen auch unser Haus in Ordnung bringen.

Wir sind  diesen neuen Gefahren nicht hilflos ausgesetzt. Die demokratischen Kräfte in unserer Gesellschaft sind doch eine große Mehrheit. Hoffentlich begreifen sie, dass sie Abwehrkräfte mobilisieren müssen. 70% der Befragten vermisst den „Zusammenhalt in dieser Gesellschaft“. Daran müssen wir arbeiten. Die Politik muss sich neues Vertrauen erarbeiten. Berechtigte Sorgen und Ängste müssen zum Thema werden. Es heißt Abschied nehmen von bequemer Gleichgültigkeit. Licht im Dunkel bietet  die Besinnung auf  unser Menschsein, auf die Menschenwürde, die die  Werteordnung des Grundgesetzes bestimmt. Es ist die beste Verfassung, die die Deutschen je hatten. Wir müssen sie gerade in stürmischen Zeiten verteidigen und auch wirklich leben.